michael

51°18’49“N 9° 29′ 51“E | Kasseler Kunstverein | 2010

Gruppenausstellung mit Stefan Daub, Michael Göbel, Silvia Götz, Milen Krastev, Diana Kühn, Annegret Luck, Milen Miltchev, Ingmar Mruk, Charlotte Mumm, Jörn Peters, Andrea Schüll, Johannes von Stenglin, Sünje Todt, Daniela Toebelmann, Aylin Uçar, Vesselin Vassilev

Deadlock (Prypjat)
o. T. (Luna Park)

Bernhard Balkenhol Katalogtext
Ein Riesenrad auf Raumhöhe geschrumpft und teilweise in die Wand und in den Boden versunken relativiert nicht nur das menschliche Maß sondern auch das Mögliche. Michael Göbels Skulptur „Deadlock“ ist dem Riesenrad in Prypjat nachempfunden. In der russischen Arbeiterstadt des Kernkraftwerks Tschernobyl sollte am 1. Mai 1986 ein Vergnügungspark eröffnet werden, wozu es durch die Reaktorkatastrophe am 26. April des Jahres nicht mehr kam. Seit diesem Tag steht das Riesenrad (wie die gesamte Region) in absolutem Stillstand.
Solche Archäologie von Gegenwart und „versunkener Kulturen“ mag romantisch sein oder sich zu Mahnmalen umkehren, die vor dem Unglaublichen warnen. Michael Göbel geht es um mehr. Denn Ausgangspunkt für die Skulptur sind Informationen und Bilder aus den Medien, die er bereits als eine auf Wirkung spekulierende Auswahl versteht. Er reduziert und glättet sie noch einmal, so dass sie wie exemplarische Modelle verstanden werden können. Farbe, Form und Dimension bekommen symbolischen Charakter und verweisen darauf, dass es sich hier um eine Metapher handelt.
Denn es geht ihm nicht darum, in persönlicher Handschrift die Welt zu kommentieren, vielmehr will er Objekte und Situationen aufspüren – und dann neu erschaffen, die auf grundsätzliche Empfindungen oder Begriffe verweisen, Pattern also, die das besondere Einzelne als das Allgemeine behaupten. Seine Objekte und Orte, auch die auf den Bildern, wollen gar nicht (genau) gesehen werden – so „sauber“ sie auch gearbeitet sind – sie wollen vielmehr die Fläche sein, auf der sich die Projektion der originalen Ereignisse und die der Betrachter treffen.
So kann man seine Zeichnungen, mit leichtesten Graustufen gezeichnet, einerseits als der Realität weggenommene Bilder verstehen und gleichzeitig als Nachbilder im Kopf des Betrachters, der sich bereits abgewendet hat.
Michael Göbel lässt sich in seinen Medien nicht festlegen, macht Zeichnungen, malt Bilder, baut Skulpturen und ganze Räume. Die Hotelanlage („Am Strand“, 2005), das Einfamilienhaus („Zuhause“, 2004) und der Stuhlkreis („Kathedralen“, 2001), Hochsitze („o.T. (Hochstände)“, 2007) oder das Zelt auf dem Floß (in der Installation „wilderness“, 2008) und auch schon die unzähligen Personen aus dem Alltag („Menschen“ / „100 Menschen“, 1997/98), immer sind es konkrete Gegenstände und Prototypen und „endgültige Lösungen“ zugleich.

Presse

HNA, 23.01.2010

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Michael Göbel - Ausstellung "Inseln" - Kunsthalle Willingshausen, 2010

Inseln | Kunsthalle Willingshausen | 2010

• Insel
• o. T. (Serie: Gärten)
• Aufgänge
• o. T. (Sonne)
• o. T.

Bernhard Balkenhol (Katalogtext)
Inseln
Dörfer sind wie kleine Seen, die von Straßen und Wegen gespeist, sich in der Landschaft gebildet haben. Von den Menschen aus gesehen, die darin wohnen, könnte man auch von Inseln sprechen. Deren Bewohner haben sich hier angesiedelt und auf dem eingenommenen Land ein Gemeinwesen gegründet. Es fasst sie zusammen und schützt sie vor dem Draußen. Auf diesen Inseln haben sich die jetzt Ansässigen wiederum eigene kleine Inseln gebaut, Orte, an und in die sie sich zurückziehen können, wo sie sicher sind vor den Blicken und Zugriffen der Anderen. Darin wiederum, abgetrennt oder über Treppen erreichbar, findet man noch kleinere Orte, die privaten Zimmer, wo jeder ganz für sich sein kann. Geht man diesen Weg weiter, gelangt man zu den Möbeln, den Schubladen und Schachteln, schließlich in die Kleidung bis in den Kopf, den wachen wie den schlafenden.
„Niemand ist eine Insel“, so sagt man sprichwörtlich. Der Dichter und Theologe John Donne hatte Anfang des siebzehnten Jahrhunderts diesen Satz formuliert und weiter ausgeführt: „Jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlands. Wenn ein Erdklumpen ins Meer gespült wird, wird Europa weniger, genauso wenn es eine Landzunge ist, oder ein Landgut deines Freundes oder dein eigenes.“ Er wollte darauf aufmerksam machen, wie wertvoll jeder Einzelne für das Gemeingut ist und wie sehr ihn das verpflichtet.
Gleichwohl braucht es offenbar die Grenzen. So jedenfalls sieht Michael Göbel das, der im Rahmen seines Arbeitsstipendiums drei Monate in dem kleinen Schwälmer Dorf Willingshausen verbracht hat. Seine Ausstellung in der dortigen Kunsthalle nannte er vieldeutig „Inseln“.
Michael Göbel zeigt dort Zäune, Hecken und Tore, die die einzelnen Grundstücke und Höfe abschotten. Er zeigt Treppen, deren Von-Wo und Wohin schwer zu identifizieren ist. Und er zeigt beleuchtete Fenster in der Nacht, die die neugierigen Blicke anziehen wie die Mücken das Licht. Er selbst zeigt sich auf der Einladung und dem Plakat als Fremder auf dem Weg ins Dorf, mit seinem gelben „Friesen-Nerz“ wie in eine alte Schwarz-Weiß-Postkarte hinein montiert.
Grundlage all dieser Bilder sind streng dokumentarisch aufgenommene Fotografien. Sie nehmen das Gesehene emotionslos und präzise in Besitz. Trotzdem verorten sie den Fotografen durch die spezifisch bildnerische Gestaltung von Ausschnitt, Blickrichtung und perspektivischer Verzeichnung und zeigen sein Motiv, „was sehen“ zu wollen. Die Bildmotive allerdings verschließen dem Betrachter den Blick, zeigen ihm, dass er draußen steht und eigentlich nichts sehen kann – und soll.
Michael Göbel hat die Fotografien von den verschiedensten Abgrenzungen im Dorf als Vorlage zu großformatige Zeichnungen verarbeitet. Sie geben das Foto allerdings nicht in seiner Farbigkeit wieder sondern in einem kaum sichtbaren Grau. Mit dem Filzstift übersetzt er es graphisch und ohne jegliche Handschrift in eine Parallelschraffur, als würden sich das Motiv, die Mauern und der Bewuchs gegen ihre Sichtbarkeit und tatsächliche Erscheinung wehren. Die Motive gehen in einem zeichnerischen Effekt auf und verwandeln so das Bild in ein Bild vom Bild.
Auch die Fotografien von den Treppenhäusern hat Michael Göbel übersetzt, indem er sie auf bloßes Helldunkel reduziert und auf Glasplatten geätzt hat. Man muss einen bestimmten Winkel finden, um sie überhaupt deutlich wahrnehmen zu können. Geht man ganz nahe heran, löst sich das Bild in kaum noch signifikante matte und glänzende Flächen auf. Wieder aus dem Abstand gesehen, erscheint das Bild wie eine farblose Spiegelung auf einem Fenster, das den interessierten Blick begrenzt.
Und schließlich die Lichtpunkte in der dunklen Nacht, die hell erleuchteten Fenster, auch sie gewähren keinen Einblick. Niemand ist darin zu sehen, beleuchtet sind nur die Grenzen zum Privaten, die Vorhänge und der Fensterschmuck als indirekte Charakterisierung und minimaler Verweis auf die Bewohner.
So geben diese Fenster, ebenso wie die Treppenhäuser und Absperrungen ein Bild ab, das gerade in der spezifischen künstlerischen Verarbeitung mehr als ihr Motiv ist. Das Motiv wird zur Metapher, wodurch sich die distanzierte Sachlichkeit wieder personalisiert, und fragt nach den Menschen und ihren Haltungen wie nach dem Standpunkt und den Projektionen des Betrachters – und das, trotz oder gerade wegen der Widerstände, die dem Betrachtung in den Weg gelegt werden.
Wie gegenständlich und real ein solches Bild auf den Begriff gebracht werden kann, zeigte die zentrale Arbeit in der Ausstellung: der aufgebockte Tanzboden, der sich mit seinen Lampions über dem Trubel des Dorffestes erhebt – auch eine Insel, zum gemeinsamen Tanzen und zu fröhlich ausgelasser oder zärtlicher Zweisamkeit. Allerdings ist es schon Nacht und der Tanzboden verlassen in dunklem Blau. In seiner Größe um die Hälfte geschrumpft und teilweise verschwunden in der Wand, erscheint die Szene wie ein Nachbild, eine Erinnerung an etwas, das – so ähnlich oder prinzipiell? – schon wieder Vergangenheit ist.

Presse

HNA, 25.09.2010, Sandra Rose

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Michael Göbel - o. T. (Hochstände), 2007

room with a view | Kulturnetz Kassel | 2008

• o. T. (Hochstände)
• o. T. (Bedrooms)
• Sauerland Pension


Barbara Heinrich MA Einführung in die Ausstellung
Michael Göbel (Jahrgang 1973) hat in Kassel Freie Kunst bei Professor Lüthi und Visuelle Kommunikation bei den Professoren Ott und Stein studiert.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind Fotografie, Malerei, Zeichnung und Skulptur, die inhaltlich stets vernetzt sind und auch formal häufig in Form von Installationen zueinander gestellt werden.
Der Titel der Ausstellung „Room with a View“, also etwa „Zimmer mit Aussicht“, deutet das Thema schon an. Das englische Wort „view“ hat vielerlei Bedeutungen: Anblick, Ansicht, Aussicht, aber auch Absicht, Anschauung, Auffassung oder Betrachtung, Blick, Vorstellung.
Gemeint ist also nicht nur die Auseinandersetzung mit realen Räumen und ihren formalen Aspekten, also der Blick auf etwas, sondern es geht in Michael Göbels Arbeiten immer auch um Einblicke und Verortungen im Sinne von Ansichten oder Standpunkten.
Michael Göbels Skulpturen, wie die hier ausgestellten Hochstände, sind verkleinert nachgestellte, auf exakter Fotorecherche basierende Rekonstruktionen realer Gegebenheiten. Jeder kennt diese eigenartigen Gebilde der Waldmöblierung, die ihren Nutzern die Möglichkeit bieten unbeobachtet beobachten zu können. Im englischen nennt man sie „Raised Hides“, also erhöhte Verstecke. Der Hochstand ist ein Raum, von dem aus man den Überblick über einen bestimmten geografischen Bereich hat und der seine jeweiligen Nutzer zugleich selbst schützt – eine Art Anonymität in einem öffentlichen Raum.
Im Maßstab 1:6 verkleinert und gleichförmig rosa eingefärbt erstarren nun diese Kleinskulpturen zur ironischen Karikatur ihrer ursprünglichen Versprechungen, denn nun kann jeder Einblick nehmen – der Betrachter hat den Überblick über das Geschehen. Und um genau diese Umkehrung des Blickwinkels, um das Wechselspiel von Verstecken und Zeigen, von Intimität und Öffentlichkeit geht es in Michael Göbels Arbeiten.
So auch in Sauerland Pension, einem Ensemble aus zwei Kopfkissen, die auf einem hölzernen Bord ausgestellt sind. Was sonst nur in der Abgeschiedenheit eines Hotelzimmers dem jeweiligen Mieter (und dem Zimmermädchen) zugänglich ist, wird hier öffentlich gemacht, einschließlich der Gebrauchsspuren.
Dieser Wechsel von Innen- und Außenansicht setzt sich auch in den ausgestellten Zeichnungen fort, die zum einen öffentliche Räume, wie etwa die Poollandschaft einer Hotelanlage, aber auch Innenräume, also intime Interieurs zum Thema haben (in diesem Fall Schlafzimmer). Mit hellgrauem Grafikmarker sind die Sujets in zarter Schraffur aufgetragen. Nur aus der Fernsicht gibt sich das Dargestellte in seiner Gesamtheit zu erkennen. Kommt man näher, lösen sich die Formen in der Schraffur auf und werden transparent, fast durchsichtig.
Wie privat ist der öffentliche Raum? Wie viel Öffentlichkeit verträgt das Private? Welche Einblicke lassen wir zu und welche werden uns gewährt? Wie entstehen Ansichten und wie individuell sind sie? Um genau diese Fragen kreisen die Arbeiten von Michael Göbel.

Presse

HNA, 28.3.2008, P. Sommer

room with a view | Kulturnetz Kassel | 2008 Weiterlesen »

Michael Göbel - Endlich allein, 2008

Figuration und Abstraktion | Bunsen Goetz Galerie, Erlangen | 2008

• endlich allein

Presse
Erlanger Nachrichten, 11.04.2008, Kurt Jauslin
(…) Der Titel «Figuration und Abstraktion» lässt so ziemlich alle Möglichkeiten offen, auch jene der Installation, die vielleicht nicht immer figurativ sein muss, aber gewiss niemals abstrakt sein kann. Jedenfalls gehört die Installation «Endlich allein» des Kasseler Künstlers Michael Göbel zu den eindrucksvollsten Objekten der Ausstellung. Sie vereint eine strenge plastische Ordnung mit der ironischen Distanz gegenüber der im Motiv enthaltenen Geschichte. (…)

Figuration und Abstraktion | Bunsen Goetz Galerie, Erlangen | 2008 Weiterlesen »

Michael Göbel - Ausstellung "Miniaturwelten", 2004

Miniaturwelten | Kunsttempel, Kassel | 2003

• Zuhause
• Andenken an Zuhause
• Menschen

Doris Krininger MA Einführung in die Ausstellung (Auszug)

(…) 100 minutiös auf Papierschnipsel schwarz weiß in Öl gemalte Ganzkörperbildnisse zwischen 3 cm und maximal 7 cm Höhe, sowie eine weitere bunt kompakte, auf Holztäfelchen gesetzte Bildnisreihe stellt Michael Göbel dem groß aufgeladenem Image der Porträtmalerei gegenüber. Zeitungsprints, später eigene Fotoaufnahmen liegen jeweils als Ausgangsmaterial seiner Porträtgalerie zugrunde. Die Papierblättchen, schlicht mit Stecknadeln angepinnt finden passgenau in einer Schachtel ihre Aufbewahrung, zu den Farbarbeiten gehört eine Kassette mit dem Fassungsvermögen von je 6 Täfelchen und zur Erleichterung der Hängung hinzugefügt, eine Bohrschablone. Als work in progress konzipiert, löste die noch unbeendete Buntserie, 1998 die schwarz-weiß Reihe ab. Die Häufung der anonymen Porträts ist als visuelle Statistik, in Kleidung Haltung und Auftreten als zeitbezogenes Soziogramm zu lesen. Ein minimaler Kunstgriff, die radikalen Verringerung des gewohnten Volumens irritiert und verlangt genaues Hinsehen wie die Typologien der Winzlinge den bevölkerungsdurchschnittlichen Ist-Zustand malerisch protokollieren.
Unterm Sturz gesichert ruhen 6 „Andenken an Zuhause“ betitelte Modelle. Sie gehören als Indikatoren wohlständischer Existenz zu dem schwebenden Reihenhaus, „Zuhause“, welches in leichter Korrektur an der LandbergGartenBahn-Norm ausgerichtet ist. Die 2002 entstandene Werkgruppe basiert ebenfalls auf Fotorecherchen überall zu findenden, von Ortsbezogenheit und Lokalkolorit gesäuberten Privatbesitzes. Aus Gips, Holz und Pappe bestehend und identisch mit einem Ton aus der RAL-Mattlack-Palette eingefärbt, zeigt sich hermetisch abgedichtet, in Bauspareroptik standardisiert das Eigenheim und seine obligatorischen Requisiten. Schaukel, Kamingrill, Wäschespinne, Sichtschutz, Schuppen, Zaun und BMW-Combi referieren familiär ideale Arbeit und Freizeitkonditionen. Im abwaschbar, cleanen Finish erstarren die Kleinskulpturen zur zynischen Karikatur ihrer vermeintlichen Versprechungen. (…)

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